Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
18.01.2011-22.11.2011, Leibnizhaus Hannover, Holzmarkt 5, 30159 Hannover
Psychische Probleme und psychiatrische Erkrankungen wurden lange Zeit nicht als Krankheit erkannt. Betroffenen Menschen wurde und wird oft mit Unverständnis begegnet. Wie die Psychiatrie als Wissenschaft, aber auch die Öffentlichkeit mit diesen “vermeintlichen Abweichungen von der Normalität” seit dem Kaiserreich bis nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten umging, soll in dieser Vorlesungsreihe anhand neuer Forschungsergebnisse diskutiert werden.
Neben den Untersuchungen zum nationalsozialistischen Krankenmord, die inzwischen detaillierte Erkenntnisse über die Entstehung, die Struktur und den Verlauf der Ermordung psychisch Kranker und geistig Behinderter erbracht haben, setzen sich Wissenschaftler zunehmend mit der Entwicklung der Psychiatrie, ihren Institutionen und ihren Praktiken von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Nachkriegszeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auseinander.
Als Referenten haben wir Medizinhistoriker aus Deutschland und der Schweiz gewinnen können, die neueste Forschungsergebnisse vorstellen.
Analysiert wird der Alltag von Psychiatriebetroffenen im Spiegel der Entwicklung der Anstalten wie auch aus der Perspektive der Betroffenen und ihrer Familien. Schon seit einhundert Jahren üben Menschen Kritik an der Psychiatrie und fordern Reformen. Ein wichtiger Gegenstand der Forschung ist ebenso, wie sich der Blick der Öffentlichkeit auf diese Patienten und die Rolle der Psychiatrie in der Gesellschaft verändert hat und noch verändert.
Die Veranstaltung richtet sich an Fachkollegen, Psychologen und Ärzte sowie an psychiatrie- bzw. medizinhistorisch Interessierte.
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18.01.2011
Prof. Dr. Heiner Fangerau (Ulm)
Zwischen Kur und Irrenanstalt: Die Volksnervenheilstättenbewegung vom Kaiserreich bis nach dem Ersten Weltkrieg
01.02.2011
Dr. Rebecca Schwoch (Hamburg)
“Mein jahrelanger Kampf gegen den Psychiater Größenwahn”. Psychiatriekritik und Öffentlichkeit um 1900
17.02.2011
Prof. Dr. Doris Kaufmann (Bremen)
Psychiatrie im Alltag: Neurasthenie und “sexuelle” Frage im Kaiserreich
01.03.2011
Prof. Dr. Volker Roelcke (Gießen)
Die Etablierung der psychiatrischen Genetik: Verwissenschaftlichung der Psychiatrie – Biologisierung des Psychischen
15.03.2011
Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl (Bielefeld)
Psychiatrie als gesellschaftliche Leitwissenschaft? Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater in der Zeit des Nationalsozialismus
29.03.2011
Dr. Maike Rotzoll (Heidelberg)
Gefährdetes Leben. AnstaltspatientInnen und ihre Geschichte bis zur Ermordung in der national-sozialistischen “Euthanasie”-Aktion “T 4”
05.04.2011
Dr. Thomas Röske (Heidelberg)
Malereien im Verwahrhaus. Die Kunst Julius Klingbiels (1904-1965)
14.04.2011
Dr. Georg Lilienthal (Hadamar)
“Die Erbschaft, die ich antrat, war sehr unerfreulich.” Hadamar nach dem Krankenmord
Dr. Alfred Fleßner (Oldenburg)
Wahr-Nehmungen. Öffentliche Deutungskultur und die Aufarbeitung der NS-“Euthanasie” in den Familien der Opfer
05.05.2011
Dr. Christine Wolters (Hannover)
“Gesellschaftsunwürdige Volksgenossen” Psychiatrisierung von Tuberkulosekranken im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit
17.05.2011
PD Dr. Svenja Goltermann (Freiburg/Breisgau)
Gewalt und Trauma. Zur Verwandlung psychiatrischen Wissens in Ost- und Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
24.05.2011
Dr. Sigrid Stöckel (Hannover)
“… dass der Kranke sich auch selber heilen muss.” Die Anfänge der Psychosomatik im Nachkriegsdeutschland
21.06.2011
Dr. Marietta Meier (Zürich)
“Soziale Heilung”. Psychochirurgie nach dem Zweiten Weltkrieg
05.07.2011
Prof. Dr. Brigitte Lohff (Hannover)
Von der Normalität des Unglücklichseins. Das Menschenbild der Psychologie zwischen Behaviorismus und Psychotherapie in den 1960 Jahren
11.10.2011
Prof. Dr. Franz-Werner Kersting (Münster)
“Visual History”. Die Anstaltspsychiatrie der 1950er und 60er Jahre im Spiegel unbekannter Filmdokumente
26.10.2011
Prof. Dr. Wielant Machleidt (Hannover)
Weltpsychiatrischer Universalismus versus kulturdistinkte Psychiatrie. Ethnopsychiatrische Diskurse in den 1970er und 80er Jahren
08.11.2011
PD Dr. Cornelia Brink (Freiburg/Breisgau)
Der Wahnsinn als Gemeinplatz. Öffentliche Kontroversen um die Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland um 1970
22.11.2011
Dipl.-Pol. Kathrin Franke (Leipzig)
Transformation der Psychiatrie in Ostdeutschland aus Akteursperspektive